CAKE | 26 — Sky's the limit

 

Ich lasse Bälle fallen. Absichtlich. Ich habe endlich verstanden, dass einige fallen müssen, damit ich mich fallen lassen kann. Sechs Dinge, die erfolgreiche Menschen vor 6 Uhr erledigen. #1 Drop the balls. #2 Focus. Nummern 3 bis 6 bin ich enthusiastisch indifferent gegenüber.

Seit Monaten träume ich davon, ein paar Tage nichts zu tun. Gar nichts. Ich finde, Nichtstun ist der ultimative kreative Widerstand. Alternativ auch stundenlang an die Decke starren. Noch besser in den Himmel. But you take what you can get. I got the flu. Und nun liege ich seit drei Tagen fiebrig im Bett, röchelnd und schwitzend und frierend und kann endlich an diese gottverdammte Decke starren. Viel Himmel ist hier nicht. Ich hätte mehr Himmel gut gefunden. Der Vorhang hängt auch schief, und ich habe keine Taschentücher mehr.

Eine Weile habe ich alles gegeben, was ich in mir hatte. Als Frau lernt man schnell, immer schön ja zu sagen, sonst könnte womöglich irgendwann mal jemand mit einem nein entgegnen. Belohnt wurde meine jahrzehntelange Überperformance mit mehr Arbeit, einer Beförderung und drei Hörstürzen. Capitalism. Works like a charm. Heute höre ich auf dem linken Ohr nicht mehr so gut. Was? Nein.

Ich habe dazu gelernt. Ich habe Inbox Zero aufgegeben. Ich beantworte nicht mehr jede E-Mail. Ich lese noch nicht einmal alle. Es kommen ja eh ständig neue, und ich habe wichtigeres zu tun. Stattdessen Inbox Fivehundredseventytwo. Das meiste davon sind Newsletter oder Mails, in denen ich cc bin, die mich nicht betreffen. Aber mit dabei sind wahrscheinlich auch zwei oder drei sehr relevante, ungelesene Mails, die mich noch kosten werden. Oh well, das Leben ist zu kurz für E-Mails. Ihr Erfinder Roy Tomlinson kriegt seit 2016 keine mehr. This isn’t what we’re supposed to be working on either, Roy. Danke für nichts.

Einmal habe ich mein Workout unterbrochen, weil mir plötzlich etwas einfiel, worum ich meinen Mann bitten wollte und es in dem Moment loswerden musste, nämlich dass wenn ich im Sterben liege und er in meiner Nähe sein sollte, er mich unbedingt, gegen jeden Widerstand nach draußen bringen soll, damit ich ein letztes Mal den Himmel sehen kann. In Berlin hat er nicht besonders viel zu bieten, vor allem im Winter, hoffe also, wir sind dann woanders, weil ein schöner, weiter Himmel, wow, it takes your breath away. Ich habe ihn schon ein paar mal gesehen und zugegeben, auch mal geweint beim Anblick, so unfassbar berührt war ich, vor allem aus 1982 Meter Höhe raubt er dir den Atem. Alles andere verliert in dem Moment an Bedeutung.

Ich habe kurz meine polnische Staatsbürgerschaft verlegt. War über 30 Jahre damit beschäftigt, so zu tun, als wäre ich deutsch, nur um festzustellen, dass ich nie deutsch genug sein werde für dieses Land und die Mehrheit der Wähler:innen eh bald von „Remigration“ schwafeln wird. Es sieht nicht gut aus für Deutschland, aber ich habe den Rechten wie immer einiges voraus. Bald bin ich wieder polska obywatelka. Zapraszamy.

Eine Woche, in der meine Gedanken nur mir gehören. In der ich selbst entscheide, wie ich meine Tage fülle, meine Zeit nutze. In der ich kaum spreche (weil ich sonst an meinem Husten ersticke oder mir ne Rippe breche, aber das ist nicht der springende Punkt). Es musste eine Grippe her, um mich zum Nichtstun zu zwingen. Das kann doch nicht die Auszeit sein, von der wir hier alle träumen, oder? Offenbar hat jede:r von uns eh nur 4000 Wochen Zeit, und ich habe über die Hälfte davon bereits mit Immigration, dem Patriarchat und Angstzuständen verplempert. Nächstes Jahr wird alles anders. I’m gonna find myself some more sky. So should you. 

 
Sabina Ciechowski