CAKE | 14 — Inneneinrichtung

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Als hätte jemand die Bilderrahmen an den Wänden umgehängt. Irgendwie scheint alles gleich und doch wirkt es anders. Nichts passt zusammen. Und wir tun so, als würde uns das nicht weiter stören. Wir können nicht genau sagen, was gerade passiert. Wir sind verwirrt. Also setzen wir uns hin, atmen tief ein und warten. Die Stille macht nervös. 

Es kommt mir vor, als hätte ich die letzten Jahre hierauf hingearbeitet. Immer neurotisch, hypochondrisch und hyperhygienisch. Meide Menschenmassen seit 2001. Andere umarmen? Das Bett mit dem erkälteten Mann teilen? Oder den Knopf im Fahrstuhl mit der Fingerkuppe drücken? Die Stange in der S-Bahn anfassen? Nein, nein, nein und niemals. Was mich aber mehr verunsichert als Körperflüssigkeiten und Aerosole, sind die Menschen um mich herum, die plötzlich auch vorsichtig sind. Und die so vieles meiden und falsch machen. All das auf eine panische Art. Sie haben Angst. Und starren mich streng an, wenn ich mit meinem Mundschutz an ihnen vorbei gehe. So war das nicht gedacht.

Manchmal vergesse ich für einen Moment, dass da draußen ein Virus tobt. Und dann fällt es mir plötzlich wieder ein. So wie man nach dem Aufwachen für ein paar Sekunden die Diagnose oder die Trennung vergisst. Die Tage verschwimmen in einander. Sonntage haben plötzlich ihren bitteren Nachgeschmack verloren. Donnerstage sind die neuen Freitage. Die Erinnerung ist nicht mehr zuverlässig. Ich vergesse, wann ich zuletzt die Haare gewaschen und ob ich das Teewasser aufgesetzt habe.

Draußen ist einem anderen drinnen gewichen. Es wurden neue Grenzen gezogen. Und Aussichten verhängt. Und die Nachricht, dass jemand, der mir nahe steht, verstorben ist? Es ist, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie zu mir durchdringt. Dass ich selbst Symptome zeige ebenfalls. Ich bleibe solange drinnen. Und verabschiede mich jetzt schon von dem Gedanken, Abschied nehmen zu können. Und von großen und kleinen Plänen. Und trinke dabei zu viel Wein. L'chaim. Und auf die Freunde. 

Die Spiegel-Bestsellerlisten sind der Statistik des Robert-Koch-Instituts gewichen. Die aktuellen Zahlen hinterlassen ein fahles Gefühl im Mund, wenn man sie ausspricht. Die Infektionen breiten sich mehr und mehr aus. Die Welt ist eine Petrischale und die Kreise auf der Weltkarte werden immer größer. Ich fühle mich wie ein kleiner roter Punkt auf dem Stadtplan. Du bist hier. Und du kannst nirgendwo anders hin. 

Zur Zeit bin ich dankbar für die Sonne. Auch wenn es noch eisig kalt ist. Ich möchte gar nicht daran denken, wie es mir ginge, wenn es Tag für Tag regnen würde. Der Blick vom Balkon beruhigt. Die Hortensien kommen langsam zurück. Und der kleine Kirschbaum des Nachbarn beginnt vorsichtig zu blühen. Vor einigen Tagen habe ich Okrasamen gepflanzt, die ich letztes Jahr aus Japan mitgebracht hatte. Ob sie überhaupt etwas werden, ist gar nicht so wichtig. Ich möchte einfach etwas wachsen sehen. Den Widerständen trotzen. Die Natur bleibt. Und das ist immer ein Trost. Sie atmet gerade tief aus. Das sollten wir auch.

 
Sabina Ciechowski